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Lautes Rasseln, Gleichgewichtsprobleme und ein Eigentor, das keines war

Sternsinger trainieren mit der Blindenfußballmannschaft von Borussia Dortmund.

Gruppenbild zum Trainingsabschluss: Die Sternsinger (Elias, Imelda, Pia, Elsa, Jonas, Julian, Luisa, Simon, Fabiola und Lukas) aus der Franziskus-Gemeinde Dortmund-Scharnhorst/Grevel mit Spielern der Blindenfußballmannschaft von Borussia Dortmund (Hasan Altunbas, Hasan Caglikalp, Conny Dietz, Amire Schwarz, Albert Schön und Trainer André Hahn).

(Text: Robert Baumann)

Aachen/Dortmund. Von der einen auf die andere Sekunde sieht Imelda nichts mehr. Gar nichts. Nur Dunkelheit. Die 14-Jährige ist völlig blind und hilflos. Ihr Gehör ist das Einzige, was ihr jetzt noch bei der Orientierung hilft. Ganz langsam bewegt sie sich in Richtung des Rasselns wenige Meter von ihr entfernt. Und wieder: ein lautes Rasseln. Imelda reicht es. Sie nimmt die schwarze, blickdichte Brille von ihren Augen und wird vom grellen Sonnenlicht geblendet. Es dauert einen Moment, bis sich ihre Augen an das Tageslicht gewöhnt haben. Die 14-Jährige steht mitten auf einem kleinen Kunstrasenplatz. Vor ihren Füßen liegt ein Fußball, dessen kleine Rasseln im Innern bei jeder Berührung zu hören sind. Ihre Blindheit war nur von kurzer Dauer und durch die Brille künstlich herbeigeführt. Ganz im Gegensatz zu ihren Gegenspielern, den Fußballern der Blindenfußballmannschaft von Borussia Dortmund. 

Imelda ist an diesem Samstagvormittag (6. Juli 2019) gemeinsam mit neun weiteren Sternsingern aus der Franziskus-Gemeinde Dortmund-Scharnhorst/Grevel beim Training der Blindenfußballer. BVB-Trainer André Hahn gibt den Sternsingern zunächst eine kurze Einweisung ins Regelwerk (siehe Zusatzbox „Regeln“) und beginnt dann mit vermeintlich leichten Übungen wie Passen und Dribbeln. „Blind Fußball zu spielen ist ein ganz komisches Gefühl“, sagt Imelda nach ihren ersten Dribbel-Versuchen. „Man weiß überhaupt nicht, wo der Ball ist. Man kann nicht einschätzen, wie weit Mitspieler und Gegenspieler entfernt sind. Und ich habe große Probleme, mein Gleichgewicht zu halten.“

Entscheidend ist die Kommunikation

Auch Elias ist skeptisch, als er sich die blickdichte Brille auf dem Sportplatz im Dortmunder Stadtteil Kirchderne überstreift: „Ich werde auf das falsche Tor schießen. Oder ich treffe den Pfosten und der Ball springt zurück gegen meinen Kopf“, befürchtet er. Es kommt anders. Das Eigentor verursachen nicht die Sternsinger, sondern Hasan Caglikalp. Er ist einer der Kicker, die in der Blindenfußball-Bundesliga für den BVB auflaufen. Im Trainingsspiel versenkt er den Ball urplötzlich im eigenen Kasten. Kein Zufall, sondern pure Absicht. Sozusagen ein Geschenk an die Sternsinger. Denn die haben große Probleme überhaupt einen Schuss in Richtung Tor abzugeben. Ein Schmunzeln kann sich Hasan nicht verkneifen. Der 50-Jährige ist von Geburt an blind. Seit der Gründung der Blindenfußball-Bundesliga im Jahr 2008 ist er mit dabei und weiß, worauf es bei dem Sport ankommt: „Entscheidend ist, die vielen Infos, die ich als Spieler auf dem Feld bekomme, zeitgleich und schnell zu verarbeiten. Ich muss mit meinen Mitspielern kommunizieren, ich muss hören, wo sich die gegnerischen Spieler befinden, ich muss auf den Ball fokussiert sein und die Zurufe meines Trainers, Torwarts und des Hintertor-Guides beachten. Und ich sollte natürlich noch meine Leistung abrufen“, erklärt Hasan. 

Auch den Sternsingern und ihrem Betreuer, Gemeindereferent Stefan Kaiser, wird schnell klar: Das Entscheidende beim Blindenfußball ist die Kommunikation auf dem 20 mal 40 Meter großen Spielfeld. Ständig rufen die Spieler laut „Voy, Voy“ (Spanisch: „Ich komme“). So weiß der ballführende Spieler, wo sich die Spieler des gegnerischen Teams befinden. Hinter den Toren unterstützt ein sogenannter Guide die angreifende Mannschaft und gibt permanent Kommandos: „Zwölf Meter zentral“, „acht Meter halbrechts“ – so können die Angreifer ihre Position zum Tor besser einschätzen. Die Abwehr wird durch den sehenden Torhüter unterstützt, das Mittelfeld vom Trainer dirigiert. 

Beeindruckt von der Leistung der blinden Fußballer

Kurz vor Ende des Trainingsspiels gibt es einen Strafstoß vom Sechs-Meter-Punkt. Elias tritt an. Der Guide hinter dem Tor klopft mit einem metallischen Gegenstand erst an den linken, dann an den rechten Pfosten. Eine akustische Orientierung für Elias, wo genau sich das Tor befindet. Im Tor steht Hasan – das ist nicht ganz regelkonform, da nur sehende Spieler im Tor stehen dürfen, aber das interessiert bei dem lockeren, spaßigen Fußballkick an diesem Tag niemanden. Hasan hört genau hin als Elias anläuft. Er hört das Rasseln, das schnell näher kommt und lauter wird und hält den Schuss. Wieder huscht ein schelmisches Grinsen über Hasans Gesicht, der wie alle anderen auf und abseits des Feldes sichtbar großen Spaß an dieser Trainingseinheit hat.  

Die Dortmunder Sternsinger sind nach dem Besuch der BVB-Kicker um eine große Erfahrung reicher. Und sie sind schwer beeindruckt von der Leistung der blinden Fußballer. „Wenn der Ball irgendwo hin geschossen wird, wissen sie sofort, wo sie hinlaufen müssen. Und sie treffen den Ball dann auch noch“, staunt Imelda. „Dass sie sich so genau zupassen können und genau wissen, wo der Mitspieler steht, das ist sehr beeindruckend.“ 

Beeindruckend wird es auch am 20. und 21. Juli auf dem Sportplatz an der Derner Straße in Dortmund. Dann findet dort der 3. Spieltag der Blindenfußball-Bundesliga statt. Für die Dortmunder geht es gegen den Erzrivalen Schalke 04. „Auf dem Platz geht es dann ordentlich zur Sache“, sagt BVB-Trainer André Hahn. „Aber sobald das Spiel abgepfiffen ist, sind diese Spieltage wie große Familientreffen. Da ist einfach eine super Atmosphäre, die richtig Spaß macht.“  

Regeln im Blindenfußball:

Beim Blindenfußball treten zwei Mannschaften mit je fünf Spielern gegeneinander an. Gespielt wird auf einem 20 mal 40 Meter großen Feld, das an den Längsseiten durch Banden begrenzt ist. Die Spieldauer beträgt 2 mal 20 Minuten reine Spielzeit. Das Tor beim Blindenfußball entspricht einem Hockeytor (3,66 mal 2,14 Meter). Jeder gegnerische Spieler, der sich dem ballführenden Spieler nähert, muss „Voy“ (Spanisch: „Ich komme“) rufen. Die Feldspieler einer Mannschaft erhalten Zurufe von außen: Der Torhüter dirigiert die Abwehr, der Trainer, der an der Längsseite steht, das Mittelfeld, und ein „Guide“ hinter dem gegnerischen Tor unterstützt seinen Sturm. Die Feldspieler müssen vollblind sein oder bei einem eventuell vorhandenen Sehrest diesen durch das Tragen von Dunkelbrillen ausgleichen. Der Torwart hingegen darf sehen und muss seine Augen nicht bedecken.

Hintergrund:

Initiiert wurde das Training bei der BVB-Blindenfußballmannschaft von der Sepp-Herberger-Stiftung des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) gemeinsam mit dem Kindermissionswerk  ,Die Sternsinger’. Die Stiftung hat 2008 die Blindenfußball-Bundesliga ins Leben gerufen. Der Kontakt zur Stiftung wurde durch die DFB-Stiftung Egidius Braun möglich, mit der das Kindermissionswerk seit 2001 unter dem Motto „Nationalspieler und Sternsinger bauen Brücken zu Kindern in Not“ Projekte für benachteiligte Kinder in verschiedenen Teilen der Welt fördert. Für die Sternsinger stand das Thema „Kinder mit Behinderung“ auch im Mittelpunkt der vergangenen Aktion Dreikönigssingen. Unter dem Motto „Segen bringen, Segen sein. Wir gehören zusammen – in Peru und weltweit!“ machten sich die bundesweit rund 300.000 Sternsinger bei ihrer 61. Aktion für Kinder mit Behinderung stark.  

>>Fotos vom Training finden Sie hier.

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